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Theorie des Bewusstseins  

Gemäß Edelman [Edelman, Gerald M., 1995: "Göttliche Luft, vernichtendes Feuer", ISBN 3-492-02931-0], mit kleinen Ergänzungen und Korrekturen.

Aufbau des Gehirns

Theorie der Selektion neuronaler Gruppen

Bewusstsein: Die erinnerte Gegenwart

Primäres Bewusstsein

Bewusstsein höherer Ordnung

  Aufbau des Gehirns  
 
Eine Selektionstheorie der Gehirnfunktionen (Bild 2) Die Theorie der Selektion neuronaler Gruppen beruht auf den drei Grundsätzen, die im Text beschrieben werden. (CAM = Zellhaftungsmoleküle, Synapsen = Kontaktstellen zwischen den Neuronen)

Eine Selektionstheorie der Gehirnfunktionen (Bild 2)

Die Theorie der Selektion neuronaler Gruppen beruht auf den drei Grundsätzen, die im Text beschrieben werden. (CAM = Zellhaftungsmoleküle, Synapsen = Kontaktstellen zwischen den Neuronen)

Nervenzellen (Neuronen) können viele Formen haben; die Form eines Neurons bestimmt zum Teil, wie es sich mit anderen zur neuroanatomischen Struktur eines bestimmten Gehirnbereichs verbindet. Neuronen können auf viele Weisen angeordnet sein; manchmal lassen sie sich zu »Karten« zusammenfassen, in denen die Körperoberfläche oder Sinneseindrücke abgebildet oder »kartiert« werden. Diese Kartierung ist eine wichtige Eigenschaft komplexer Gehirne. Solche Karten verbinden Punkte der zweidimensionalen Rezeptorfelder des Körpers (etwa der Haut oder der Netzhaut des Auges) mit entsprechenden Punkten der Gehirnschicht. Rezeptorfelder reagieren auf die dreidimensionale Welt und liefern dem Gehirn räumliche Hinweise über Unterschiede im Druck oder der Helligkeit und Farbe. Wenn man die Zeit berücksichtigt, d.h. die Aufeinanderfolge der Ereignisse, so entsteht im Gehirn ein Bild der vierdimensionalen Welt. Darüber hinaus stehen die Bereiche des Gehirns untereinander über außerordentlich viele Fasern in Verbindung.

  Theorie der Selektion neuronaler Gruppen gemäß Edelman
 
  1. Die sog. Entwicklungsselektion führt gemäß der oben behandelten Grundlagen aufgrund dynamischer Primärvorgänge der Entwicklung des einzelnen Gehirns zur Bildung der Neuroanatomie1), die eine Art kennzeichnet. Diese Anatomie weist zwangsläufig in ihren feinsten Ebenen und Verzweigungen eine enorme Vielfalt auf. Das ganze ist ein Selektionsprozess, der die Gruppe von Neuronen betrifft, die miteinander im Wettbewerb stehen beim Aufbau des Gehirns. In Gruppen varianter Neuronengruppen in einem bestimmten Gehirnbereich, in dem sich ein körperlich (somatisch) selektiertes Nervengewebe ausbilden konnte, heißt primäres Repertoire. Der genetische Code liefert für dieses Repertoire keinen festen Schaltplan, sondern nur eine Reihe von Einschränkungen für den Selektionsvorgang.

  2. Die sog. Erfahrungsselektion fordert einen weiteren Mechanismus für die Selektion, bei dem sich die Anatomie im allgemeinen nicht mehr ändert. Danach werden durch das Verhalten synaptische Verbindungen (Kontaktstellen zwischen den einzelnen Nervenzellen) in der vorhandenen Anatomie durch bestimmte biochemische Prozesse selektiv gestärkt oder geschwächt. Dieser Mechanismus, der dem Gedächtnis und einer Reihe anderer Funktionen zugrunde liegt, führt selektiv zu einer Vielfalt von Schaltungen im anatomischen Netzwerk. Die Vielfalt dieser Schaltkreise macht das sekundäre Repertoire aus.

  3. Dies betrifft die Verbindung von Psychologie und Physiologie durch die in den beiden ersten Thesen geschilderten, der Selektion unterworfenen Ereignisse. Sie bezieht sich auf die Wechselwirkung zwischen den Karten des Gehirns, durch die sog. reziproke Kopplung. Diese Annahme ist wohl die wichtigste der gesamten Theorie, denn sie zeigt, wie sich die im Laufe der Evolution gebildeten Gehirnbereiche abstimmen, um neue Funktionen erfüllen zu können. Damit solche Funktionen ausgeführt werden können, müssen sich primäre und sekundäre Karten bilden können; diese Karten sind untereinander über starke parallele und wechselseitige Verbindungen gekoppelt.
 
 

Der zuletztgenannte Signalaustausch ist also (in Verbindung mit dem Gedächtnis) der Grundpfeiler einer Brücke zwischen Physiologie und Psychologie.

Wie kann reziproke Kopplung die Kategorisierung der Wahrnehmung2) erklären, jene Funktion also, welche die Theorie der Selektion neuronaler Gruppen für alle Versuche, Physiologie und Psychologie zu verknüpfen, als grundlegend ansieht? Kurz gesagt lautet die Antwort: Durch die Kopplung der Outputs von Mehrfachkarten, die mit der Sensomotorik des Lebewesens reziprok gekoppelt sind. Das wird durch eine übergeordnete Struktur, die sog. Globale Karte erreicht. Eine globale Karte ist eine dynamische Struktur, die reziprok gekoppelte, lokale Mehrfachkarten (sowohl für Bewegung als auch für die Sinne) enthält. Die mit nichtkartierten Teilen des Gehirns wechselwirken können. Die Selektion neuronaler Gruppen innerhalb der lokalen Karten einer globalen Kartierung führt dann zu bestimmten kategorischen Reaktionen. Die Kategorisierung geschieht nicht nach Art eines Computerprogramms in einem Sinnesbereich und führt nicht durch ihren Ablauf zu einem bestimmten motorischen Ergebnis. Vielmehr selektiert die sensomotorische Aktivität solche neuronalen Gruppen, die Ergebnisse oder das Verhalten zeigen, das zur Kategorisierung führt. Entscheidungen beruhen in solchen Systemen auf der Statistik der Beziehungen zwischen den Signalen. Der Gegensatz zu Computern ist deutlich. Diese Veränderungen ergeben sich innerhalb eines selektiven Systems und hängen nicht von der Übermittlung instruierender codierter Botschaften ab.

Was bedeutet »angemessen« in bezug auf Verhalten, und wie zeigt sich die Kategorisierungswahrnehmung? Die Theorie der Selektion neuronaler Gruppen behauptet, Kategorisierung geschehe immer in bezug auf interne Wertkriterien; dieser Bezug definiert ihre Angemessenheit. Solche Wertkriterien bestimmen Kategorisierungen nicht eindeutig, sondern schränken nur die Bereiche ein, in denen sie auftreten. Nach dieser Theorie sind die Grundlagen für Wertesysteme in Lebewesen einer bestimmten Art schon durch die evolutionäre Selektion gegeben. Sie zeigen sich in jenen Bereichen des Gehirns, die mit der Regulierung der Körperfunktionen zu tun haben. Also etwa mit Herzschlag, Atmung, sexuelle Reaktionen, Drüsenfunktionen, autonomen Reaktionen. Kategorisierung zeigt sich in Verhaltensweisen, welche die durch die Evolution selektierten Anforderungen lebenserhaltenden physiologischen Systemen angemessen erfüllen.

Zu den höheren Hirnfunktionen gehören als grundlegende Einheit Wahrnehmungskategorisierung, Gedächtnis und Lernen.

 
  Bewusstsein: Die erinnerte Gegenwart  
 

Edelman unterscheidet zwischen einem primären Bewusstsein und einem Bewusstsein höherer Ordnung und hält diese Unterscheidung für grundsätzlich. Das primäre Bewusstsein ist der Zustand, in dem man sich der Dinge in der Welt geistig bewusst ist - also in der Gegenwart geistige Bilder hat. Aber dazu gehört kein Gefühl für Vergangenheit und Zukunft. Es ist das, was sich bei manchen nichtsprachlichen Lebewesen vermuten lässt. Im Gegensatz dazu gehört zum Bewusstsein höherer Ordnung, dass ein denkendes Subjekt die eigenen Handlungen oder Gefühle erkennt. Es enthält ein Modell des Personalen und zwar nicht nur in der Gegenwart sondern auch in Vergangenheit und Zukunft. Es zeigt ein unmittelbares Gewahrsein an – die unmittelbare Wahrnehmung geistiger Vorgänge ohne die Beteiligung von Sinnesorganen und Rezeptoren. Es ist das, was wir als Menschen zusätzlich zum primären Bewusstsein haben. Wir sind uns unseres Bewusstseins bewusst.

Man muss sorgfältig die Voraussetzungen angeben, die jeder vorgeschlagenen Theorie zugrunde liegen. Edelmann nennt drei, die zu dem Grundpfeiler seiner Theorie des Bewusstseins gehören.

(1): Die physikalische Annahme besagt, dass die Gesetze der Physik nicht verletzt werden; die Beschreibung der Welt durch die moderne Physik stelle, so setze er voraus, eine angemessene aber keine hinreichende Basis für eine Theorie des Bewusstseins dar.

(2): Die evolutionäre Annahme besagt, dass sich das Bewusstsein zu einem bestimmten Zeitpunkt der Evolution der Arten als spezielle Eigenschaft einer Art gebildet hat.

(3): Diese Annahme ist wesentlich subtiler. Qualia3) stellen die Menge persönlicher oder subjektiver Erfahrungen, Gefühle und Empfindungen dar, welche die Wahrnehmung begleiten. Sie sind Erscheinungszustände – wie die Dinge uns Menschen erscheinen. Ein solches Quale ist z. B. das Rotsein eines roten Objekts. Qualia sind unterscheidbare Teile einer geistigen Szene, die trotzdem insgesamt eine Einheit bilden. Ihre Intensität und Klarheit können von vagem Gefühl bis zu »höchstverfeinerten« Unterscheidungsmerkmalen reichen. Im allgemeinen werden Qualia im normalen Wachzustand von einem Gefühl raumzeitlicher Stetigkeit begleitet. Oft gehen sie mit – gelegentlich sehr schwachen – Gefühlen und Empfindungen einher. Die tatsächliche Folge der Qualia ist jedoch höchst individuell, da diese auf einer Reihe von Begebenheiten in der persönlichen Geschichte oder unmittelbaren Erfahrung des Einzelnen beruht.

Die Qualia-Annahme unterscheidet zwischen primärem Bewusstsein und Bewusstsein höherer Ordnung. Das Höhere Bewusstsein beruht auf dem Auftreten einer direkten Wahrnehmung in einem Menschen, der über Sprache verfügt und ein subjektives Leben lebt, von dem sich etwas berichten lässt. Das primäre Bewusstsein kann aus der Erfahrung, etwa von geistigen Bildern, bestehen, aber es ist an einen Zeitraum um die messbare Gegenwart herum gebunden. Es fehlt ihm ein Begriff für das Selbst, für Vergangenheit und Zukunft, und es liegt jenseits direkter, beschreibender, individueller Berichte, die vom eigenen Standpunkt aus gegeben werden. Entsprechend können Wesen mit nur primärem Bewusstsein keine Theorien des Bewusstseins entwickeln – nicht einmal falsche!

 
  Primäres Bewusstsein  
 

Siehe Bild 3: Frühere Signale, die mit den (von inneren Kontrollsystemen gegebenen) Werten verknüpft sind, und kategorisierte Signale aus der Außenwelt werden korreliert und führen in begriffsbildenden Bereichen zum Gedächtnis. Dieses Gedächtnis, das zur Begriffskategorisierung fähig ist, verknüpft reziprok gekoppelte Pfade mit gegenwärtig ablaufender Wahrnehmungskategorisierung von Signalen aus der Umwelt (dicke rote Linien in Bild 3). Das führt zum primären Bewusstsein. Wenn es durch viele Modalitäten (Gesichtssinn, Tastsinn usw.) vermittelt wird, ist es das Bewusstsein für eine Szene, die aus Dingen und Ereignisse besteht, von denen einige nicht kausal verknüpft sind. Ein Lebewesen mit primärem Bewusstsein kann diese Dinge und Ereignisse trotzdem über seine frühere, von Werten bestimmte Erfahrung durch sein Gedächtnis miteinander verbinden.

Nach der Theorie der Selektion neuronaler Gruppen hilft das primäre Bewusstsein in einer Umwelt die komplexen Veränderungen zu erkennen und zu beeinflussen, an denen viele parallele Signale beteiligt sind. Selbst wenn einige dieser Signale in der Außenwelt nicht unmittelbar kausal miteinander zusammenhängen, können sie für das Lebewesen wichtige Indikatoren von Gefahr oder Belohnung darstellen, denn das primäre Bewusstsein verbindet ihre charakteristischen Eigenschaften aufgrund der Bedeutung, die sie durch die Vorgeschichte und Werte des Individuums erhalten.

Das primäre Bewusstsein liefert ein Mittel, das gegenwärtige Verhalten eines Individuums zu seinen Handlungen und früheren Folgen seines Handelns in Beziehung zu setzen. Durch die von ihm gelieferte korrelative Szene bietet es eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit zu lenken, während komplizierte Lernaufgaben ablaufen.

Das primäre Bewusstsein ist für die Entwicklung eines Bewusstseins höherer Ordnung notwendig. Aber es ist auf ein kleines Gedächtnisintervall um einen Zeitausschnitt herum beschränkt, den Edelman die Gegenwart nennt. Es fehlt eine ausdrückliche Vorstellung oder ein Begriff von einem persönlichen Selbst, und es bietet nicht die Möglichkeit, Vergangenheit oder Zukunft als Teil einer korrelierten Szene zu sehen.

Welche Wesen haben primäres Bewusstsein?

Man kann annehmen, dass Schimpansen es haben und aller Wahrscheinlichkeit nach haben es wohl die meisten Säugetiere und einige Vögel, obwohl man das Vorhandensein des Bewusstseins bei ihnen nur indirekt prüfen kann. Leider kann man ja nur aus Neuroanatomie und Verhalten Folgerungen ziehen.

Ein Modell des primären Bewusstseins gemäß Edelman (Bild 3)

Ein Modell des primären Bewusstseins gemäß Edelman (Bild 3)

  Bewusstsein höherer Ordnung  
 

Dazu schreibt Edelmann: Bevor wir uns den Ursprüngen des Bewusstseins höherer Ordnung zuwenden, scheint das Nachdenken darüber angebracht, welche Funktion die verschiedenen Formen der Kategorisierung in den von uns vorgeschlagenen Modellen haben. Die Wahrnehmungskategorisierung ist z. B. nicht bewusst; sie lässt sich durch »Klassifizierungspaare4)« oder auch durch Automaten durchführen. Sie verarbeitet Signale der äußeren Welt – also Signale von Sinnesschichten und -organen. Im Gegensatz dazu wirkt die Begriffskategorisierung im Inneren des Gehirns, setzt Wahrnehmungskategorisierung und Gedächtnis voraus und beruht auf der Aktivität von Teilen globaler Kartierungen5). Die Verbindung der beiden Formen der Kategorisierung mit einem zusätzlichem Signalaustausch reziprok gekoppelten Pfad zu jeder Sinnesmodalität, führt im primären Bewusstsein zu einer stimmigen Szene oder einem Bild. Dieses Bild lässt sich durch das Gedächtnis von Lebewesen mit primärem Bewusstsein zum Teil wiederbeleben. Nicht aber in bezug auf ein symbolisches Gedächtnis. Damit meint Edelman ein Gedächtnis für Symbole und die ihnen zugeordneten Bedeutungen. Deshalb ist ein Lebewesen mit ausschließlich primärem Bewusstsein stark an die Aufeinanderfolge von Ereignissen in der wirklichen Zeit gebunden.

Wie lässt sich die Tyrannei dieser erinnerten Gegenwart brechen? Die ungenaue Antwort lautet: Durch die Evolution neuer Formen des symbolischen Gedächtnisses und neuer Systeme zur Verständigung in der Gemeinschaft und zur Weitergabe von Informationen. In seiner höchsten Form bedeutet das den evolutionären Erwerb der Sprachfähigkeit. Insofern nur die Spezies Mensch über Sprache verfügt, gedeiht ein Bewusstsein höherer Ordnung nur in unserer Spezies. Es gibt jedoch starke Hinweise darauf, dass wir zumindest einige Ursprünge bei Schimpansen finden können. Sicherlich ist die Grundlage für das Erkennen einer Beziehung zwischen Subjekt und Objekt im Menschen das Entstehen eines Bewusstseins für den Unterschied zwischen Selbst (im sozialen Sinn von Selbstheit) und Anderen als Nicht-Selbst klassifizierten Einheiten.

 
 

Ein Bewusstsein höherer Ordnung setzt offensichtlich das fortwährende Wirken von Strukturen voraus, die dem primären Bewusstsein dienen. Außerdem gehört die Fähigkeit dazu, eine Selbstheit zu konstruieren, die auf Gemeinschaft gründet, die Welt also im bezug auf Vergangenheit und Zukunft sehen und unmittelbar wahrnehmen zu können. Ohne ein symbolisches Gedächtnis können sich diese Fähigkeiten nicht entwickeln.

Edelman meint, dass das Gehirn schon vor der Evolution der Sprache Begriffe erzeugen und mit ihnen umgehen konnte und damit eine Grundlage für Bedeutung schuf. Als sich in Primaten ein reiches Gedächtnis für Begriffe und in Hominiden6) die phonologischen7) Grundlagen und ein spezieller Gehirnbereich für die Erzeugung, Ordnung und das Behalten von Sprachlauten entwickelt hatten, ergab sich die Möglichkeit, ein Bewusstsein höherer Ordnung auszubilden.

Wie wird man sich des Bewusstseins bewusst? Dazu muss das Gedächtnis eine Beziehung zu einer begrifflichen Darstellung eines wahren (oder sozialen) Selbst herstellen, das auf eine Umwelt wirkt und umgekehrt. Das setzt ein begriffliches Modell der Selbstheit und auch ein Modell der Vergangenheit voraus. Im Lauf des entwicklungsbedingten Lernens müssen also eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein, welche die Beziehung des Individuums zur unmittelbaren Gegenwart verändern.

Dazu sind Gehirnrepertoires nötig, die Reaktionen verzögern können. (Wir wissen, dass es im Vorderhirn solche Repertoires gibt.) Diese Repertoires müssen das, was im primären Bewusstsein abläuft, kategorisieren können. Das wird größtenteils durch symbolische Mittel erreicht, durch Vergleich und Verstärkung während der sozialen Übermittlung und durch Lernen. Während des Erwerbs der Semantik8) ergibt sich diese Verstärkung durch die Verbindung von Sprachsymbolen mit der Befriedigung affektiver Bedürfnisse von Artgenossen, also in der Eltern-Kind-Beziehung, bei der Körperpflege oder beim Geschlechtsverkehr.

 
 

Das Bild 4 zeigt die Beziehung von Sprachbereichen zu begriffsbildenden Bereichen, welche die Entwicklung eines Selbstgefühls und eines Bewusstseins höherer Ordnung zulassen; diese Abbildung muss allerdings durch eine soziale Beziehung ergänzt werden. Für das Selbst-Konzept ist das langfristige Speichern symbolischer Beziehungen, die durch Wechselwirkung mit anderen Individuen der selben Art erworben wurden, entscheidend. Damit geht die Kategorisierung von Sätzen einher, die mit dem Selbst und dem Nicht-Selbst und ihrer Beziehung zu Ereignissen des primären Bewusstseins zu tun haben. Auch die entsprechende Ausgestaltung durch das Lernen von Elementen im phonemischen und symbolischen Gedächtnis erlaubt eine bessere Kategorisierung verschiedener Handlungen in bezug auf das Selbst und andere.

Aus der Wechselwirkung zwischen diesem spezialisierten Gedächtnis und dem Begriffsgedächtnis für Wertekategorien lässt sich also ein Modell für die Welt gewinnen. Wenn sich solche begriffssymbolischen Modelle von weiteren Wahrnehmungen unterscheiden lassen, entwickelt sich ein Begriff von der Vergangenheit. Das befreit das Individuum von der Bindung an einen unmittelbaren zeitlichen Rahmen oder von Ereignissen, die in wirklicher Zeit ablaufen. Die erinnerte Gegenwart erhält damit einen Rahmen von Vergangenheit und Zukunft.

Während die Verkörperung von Bedeutung und Rückbezüglichkeit durch den Signalaustausch zwischen Wertekategorie, Gedächtnis und Wahrnehmung (dem primären Bewusstsein) mit wirklichen Dingen und Ereignissen in Beziehung gebracht werden kann, können gleichzeitig auch das symbolische Gedächtnis und die Begriffszentren in Beziehung stehen. Das ermöglicht in einer Sprachgemeinschaft ein inneres Leben auf der Grundlage der Sprache. Es ist an Wahrnehmung und Begriffe gebunden, zugleich sehr individuelle (sogar persönliche) und hat viel mit Affekt und Belohnung zu tun. Es ist ein Bewusstsein höherer Ordnung, dass sich ein Bild von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, dem Selbst und der Welt machen kann.

Ein Schema für das Bewusstsein höherer Ordnung gemäß Edelman (Bild 4)Bitte vergleichen Sie dieses Bild mit dem für das primäre Bewusstsein in Bild 3. Der Erwerb einer neuen Art von Gedächtnis über semantische Ureingaben führt zu einer Begriffsexplosion. So können Begriffe wie Selbst, Vergangenheit und Zukunft mit dem primären Bewusstsein in Verbindung gebracht werden. Das ermöglicht ein

Ein Schema für das Bewusstsein höherer Ordnung gemäß Edelman (Bild 4)

Bitte vergleichen Sie dieses Bild mit dem für das primäre Bewusstsein in Bild 3. Der Erwerb einer neuen Art von Gedächtnis über semantische Ureingaben führt zu einer Begriffsexplosion. So können Begriffe wie Selbst, Vergangenheit und Zukunft mit dem primären Bewusstsein in Verbindung gebracht werden. Das ermöglicht ein "Bewusstsein für das Bewusstsein".

 

Mit diesem Bild eines menschlichen Lebewesens vor Augen, in dem primäres und höheres Bewusstsein nebeneinander und miteinander in Wechselwirkung sind, können wir zu dem schwierigen Problem der Qualia zurückkommen. Unsere theoretische Analyse des Bewusstseins macht ja drei Annahmen, die physikalische, die evolutionäre und die Qualia-Annahme. Wir haben genug über die Mechanismen des Bewusstseins gesagt um anzudeuten, dass Qualia nur dann entsteht, wenn ein Individuum die entsprechende Beschaffenheit und Erfahrung hat. Trotzdem liefert unser verbessertes Bild gewisse Verfeinerungen. Qualia, für jeden von uns die eigenen, sind Rekategorisierungen von mit Werten behafteten Beziehungen zwischen Wahrnehmungen, die das Bewusstsein höherer Ordnung in jeder Sinnesmodalität oder in ihren begrifflichen Kombinationen untereinander vornimmt. Wir können sie anderen andeutungsweise und uns selbst genauer mitteilen. Diese Beziehungen sind gewöhnlich aber nicht immer mit Werten verknüpft. Die Freiheit von der Zeit ermöglicht die Lokalisierung von Erscheinungszuständen durch ein leidendes oder freuendes Selbst in der Zeit. Eine geeignete Sprache verbessert die Unterscheidungsfähigkeit ungeheuer. Kennerschaft, wie sie sich z. B. bei einer Weinprobe zeigt, lässt sich als das Ergebnis einer auf Qualia beruhenden Leidenschaft sehen, die durch Sprache verfeinert wird.

Wenn wir das Bewusstsein höherer Ordnung so sehen, lässt sich ahnen, was dem Selbst zugrunde liegt, das in einem benennenden Satz die Phonologie mit der Semantik verknüpft. Wenn sich einmal durch Wechselwirkung in der Gemeinschaft und durch die Sprache auf der Grundlage eines primären Bewusstseins ein Selbst entwickelt hat, ist eine Welt entstanden, die Namen und Intentionalität9) erfordert. Diese Welt spiegelt innere Ereignisse wieder, die erinnert und vorgestellt und auch äußere Ereignisse, die wahrgenommen und erfahren werden. Es werden Tragödien möglich – der Verlust des Selbst durch Tod oder Geistesstörung, die Erinnerung an unstillbaren Schmerz und die Welt wird zum Schauplatz von Schöpfung und unendlicher Phantasie.

Edelmann resümiert: Es entbehrt nicht der Ironie, dass das Selbst das Letzte ist, was seine Besitzer erkennen können. Selbst wenn sie eine Theorie des Bewusstseins haben. Wenn man bedenkt, wie sich das Bewusstsein höherer Ordnung entwickelt, und wie die Benennung erfolgt, kann das höchstens jeden von uns als Besitzer überraschen. Die Umsetzung setzt unüberschreitbare Grenzen. Der Wunsch, über diese Grenzen hinauszugehen, erzeugt Widerspruch, wie auch Phantasie und birgt ein Geheimnis, das die Beschäftigung mit dem Geist besonders reizvoll macht, denn auf einem bestimmten Punkt liegt der Geist, zumindest in seinen individuellen Schöpfungen, jenseits der Reichweite der Wissenschaft. Wissenschaftliche Forschung erkennt diese Grenze an, ohne sich auf mystische Übungen oder Illusionen einzulassen. Der Grund für diese Begrenzung ist unmittelbar einsehbar. Die Formen der strukturellen Verkörperung, die zum Bewusstsein führen, sind für jedes Individuum einzigartig – sowohl für den jeweiligen Körper, als auch seinen Lebenslauf.

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Die Evolution des Bewusstseins hängt von der Evolution einer neuen Beschaffenheit des Gehirns ab. (Bild 5)Hier wird eine Reihe von Ereignissen gezeigt, bei der natürliche Auslese und Entwicklung zu neuralen Rekognitionssystemen  und bewusster Erfahrung führen. Das erfordert keine anderen Prinzipien als die der Theorie der Selektion neuronaler Gruppen, wohl aber die Evolution neuer anatomischer Strukturen, die für diese Aufgabe selektiert wurden. Man beachte, dass eine Wahrnehmungsureingabe primäres Bewusstsein erzeugt und eine semantische Ureingabe ein Bewusstsein höherer Ordnung. Beide Ureingaben hängen von der Evolution geeigneter, reziprok gekoppelter Bahnen im Gehirn ab. (CAM = Zellhaftungsmoleküle, SAM = Substrathaftungsmoleküle)

Die Evolution des Bewusstseins hängt von der Evolution einer neuen Beschaffenheit des Gehirns ab. (Bild 5)

Hier wird eine Reihe von Ereignissen gezeigt, bei der natürliche Auslese und Entwicklung zu neuralen Rekognitionssystemen10) und bewusster Erfahrung führen. Das erfordert keine anderen Prinzipien als die der Theorie der Selektion neuronaler Gruppen, wohl aber die Evolution neuer anatomischer Strukturen, die für diese Aufgabe selektiert wurden. Man beachte, dass eine Wahrnehmungsureingabe primäres Bewusstsein erzeugt und eine semantische Ureingabe ein Bewusstsein höherer Ordnung. Beide Ureingaben hängen von der Evolution geeigneter, reziprok gekoppelter Bahnen im Gehirn ab. (CAM = Zellhaftungsmoleküle, SAM = Substrathaftungsmoleküle)

 

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