Lebensinformatik


Ort dieser Seite:   Prof.Dr.D. Hannemann  —  Home


Lebensinformatik

 

Wie komme ich zu diesem Vortrag, mit diesem Titel?
Seit 2016 habe ich eine Lehrveranstaltung im Informatik-Masterstudium mit dem Namen „Future Computing“ Die Themen „DNA-Computing“ und „Neuroinformatik“ erfordern ein Verständnis der zugehörigen Grundlagen aus der Welt der Lebewesen. Diesen Bereich nenne ich hier „Lebensinformatik“.
Ein zentraler Begriff in diesem Zusammenhang ist „Information“. Dazu vorher eine kleine ‒ mehr philosophische ‒ Überlegung. Ganz nach dem Motto, dass ein Kollege vom CERN mal so formulierte: „Physik ist praktische oder angewandte Philosophie“.

Inhalt

Legende:

icon-www Link ins Internet zu einer fremden Seite
icon-link Link zu einer eigenen Seite
icon-video Abspielen eines Videos von dieser Webseite
pfeil_sprungzumseitenanfangSprung zum Anfang

The three pillars of our existence Matter, energy and information

Die drei Pfeiler unserer Existenz

Materie  ‒  Energie   ‒  Information
Energie und Materie sind ineinander umformbar.
Die sichtbare Welt besteht aus Materie.
Und Energie bewirkt die Veränderungen: den Lauf der Zeit.
Als dritte Säule kann man die Information betrachten.
Information als etwas, dass entsteht und unserer Welt innewohnt.

Stonier. T., 1990: „Information and the Internal Structure of the Universe“, ISBN 3-540-19878-4

Die komplexeste Struktur und Informationsansammlung im bekannten Universum sind wir!
Davon möchte ich hier einen Eindruck vermitteln.

pfeil_sprungzumseitenanfang

Zelle

Daten und Informationen in uns

Alle Zellen aus denen wir bestehen, enthalten im Zellkern die Chromosomen in denen die Erbinformation in Form der DNA (DNA=Desoxy-Ribonukleinsäure) gespeichert ist. Die Mitochondrien sind die Kraftwerke innerhalb einer Zelle und enthalten auch noch etwas DNA.
Die übrigen Teile innerhalb einer Zelle ‒ die in dem Zellplasma schwimmen ‒ dienen vor allem dem Aufbau der benötigten Proteine und der Erfüllung der speziellen Funktion der unterschiedlichen Zelltypen (Haut-, Blut-, Gehirn-, Leberzellen usw.). Umschlossen wird alles von der Zellwand (Zellmembran). Diese hat Kanäle durch die ein gesteuerter Austausch mit der Umgebung möglich ist.

Diese Animation zeigt eindrucksvoll was in unseren Zellen abläuft:
Das innere Leben einer Zelle icon-www

Kopf+Gehirn

Das Gehirn besteht im Wesentlichen aus Nervenzellen, den Neuronen und Gliazellen die sehr unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen: vor allem Stütze und Versorgung, sind aber auch an der Signalverarbeitung beteiligt.
Die obere Gehirnschicht ist entwicklungsgeschichtlich die jüngste und wird Cortex genannt. Dort finden vor allem die Bewusstseinsprozesse statt. Aber auch die Nervenenden aus unserem gesamten Körper bilden dort alle Körperteile wie auf einer Landkarte ab.

pfeil_sprungzumseitenanfang

Informationsspeicher: Zelle

Chromosom+DNA

Doppelhelix

DNA

Der 2m lange DNA-Faden ‒ das Genom ‒ enthält ca. 3 Milliarden Basenpaare, davon sind ca. 1% zu 25000 Genen gruppiert.

Die Buchstaben des Lebens, die vier Basen:
A = Adenin
C = Cytosin
G = Guamin
T = Thymin

Die beiden Stränge, zwischen denen sich jeweils zwei Basen paaren bestehen aus einer Kette von P = Phosphat und S = Zucker.

In den Chromosomen des Zellkerns ist der ca. 2m lange DNA-Faden aufgewickelt. Menschen haben 22 unterschiedliche Chromosomen die verdoppelt sind, also 44 und noch zwei Geschlechtschromosomen, das macht dann insgesamt 46 Chromosomen. Zur „Datensicherheit“ hat jedes Chromosom in seinen zwei Ästen das gleiche Stück DNA, somit eine weitere Verdoppelung des Datensatzes. Die DNA kommt somit in jedem Zellkern vierfach vor, nur nicht die Geschlechts-DNA.

pfeil_sprungzumseitenanfang

Genetik

Transcription

Bild: Transkription und Proteinsynthese

1% bis 2% des Genoms enthält die Informationen zum Aufbau von Proteinen.
Der größere Teil enthält z.B. Informationen welche Proteine erzeugt und in der Zelle zum Einsatz kommen sollen.

Ein Gen-Abschnitt in der DNA wird in einer speziellen Form in der RNA (RNA = Ribonukleinsäure) gespeichert. Nur diese spezielle Form kann den Zellkern verlassen und z.B. als Bauplan für Proteine in der Protein-Biosynthese herangezogen werden (mRNA = Boten-RNA).
Da nur ca. 1% bis 2% des Genoms Informationen zum Aufbau von Proteinen enthält, war lange Zeit unklar wozu der große Rest dienen sollte. Man nannte ihn Junk-DNA, bzw. nichtkodierende DNA. Doch da täuschte man sich.

 

Myoglobin

Bild: Das Protein Myoglobin

Das Bild soll verdeutlichen, dass es bei den Proteinen nicht nur auf die dort verbundenen Atome ankommt, sondern ganz entscheident auch auf die geometrische Struktur. Ist diese verändert, kann das zu Krankheiten führen.

pfeil_sprungzumseitenanfang

Algorithmik des Lebens

Das Genom jeder Zelle enthält die Daten zum Aufbau eines jeden Zelltyps. Ein Algorithmus bringt nur die Daten zum Einsatz, die eine spezielle Zelle braucht.
Nach der Befruchtung der Eizelle beginnt die Zellteilung und die Morphogenese. Morphogenese bedeutet, dass an unterschiedlichen Stellen unterschiedliche Zelltypen ‒ Haut-, Blut-, Gehirn-, Leberzellen usw.  ‒entstehen müssen. Wie das genau gesteuert wird, ist weitgehend unbekannt.
Eine entscheidende Rolle bei der Steuerung, welche Proteine in einer Zelle zum Einsatz kommen, spielen die vielen RNA-Sequenzen (RNA = Ribonukleinsäure) die aus der DNA gewonnen werden und nicht den Bauplan eines Proteins enthalten. Hier hat es in den letzten Jahren Fortschritte gegeben und es sind viele RNA-Sequenzen gefunden worden, die wichtige Funktionen bei der Genregulation erfüllen.
Im ausdifferenzierten Lebewesen gibt es Informationen in den Zellen die den vorhandenen Datensatz ‒ das Genom ‒ modifizieren können.
→ Das Epigenom

Diese Veränderungen am Erbgut können durch äußere und innere Einflüsse entstehen und sind vererbbar.

pfeil_sprungzumseitenanfang

Anwendungen in der Informatik

DNA-Computing

Massives Parallelrechnen im Reagenzglas.
Die Theorie des DNA-Computing ist relativ weit entwickelt. Allerdings sind praktische Anwendungen noch sehr schwierig, da das Vorgehen noch unter kontrolliertem Laborbedingen stattfinden muss.
Ein Fernziel des DNA-Computings könnte sein, dass Computer aus DNA in Nanogröße z. B. in unserem Blut mitschwimmen, dessen Zustand messen, daraus gewisse Schlüsse ziehen und gegebenenfalls reagieren, indem sie bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen ein Medikament oder sogar ein Zellgift freisetzen.

DNA-Speicher

Die gespeicherte Datenmenge steigt weltweit exponentiell an und liegt 2020 im Zettabyte-Bereich. Leider sind unsere heutigen Datenträger nicht sehr langlebig (Festplatten ca. 3 bis 20a). In der belebten Natur wird vor allem die DNA zur Datenspeicherung eingesetzt (und Neurone mit ihren Synapsen im Gehirn).
Vorteile eines DNA-Speichers:

  1. Hohe Speicherdichte. 5g DNA speichern ein Zettabyte (1021 = 1 Milliarde Terabytes = 1 Billionen Gigabyte)
  2. Langlebigkeit der DNA. Aus einem 700 000 Jahre alten Pferdeknochen wurde DNA extrahiert.
  3. DNA lässt sich extrem einfach vervielfältigen — infolgedessen ist es leicht, Milliarden Kopien von in DNA gespeicherten Daten anzufertigen.

Ein neues (materielles) Ich in 80 Tagen!

Unsere Körperzellen erneuern sich ständig. Nach jeweils 80 Tagen sind so viele ersetzt, wie wir insgesamt besitzen 1)
330 Milliarden Zellen werden pro Tag ersetzt.

Während Atome, Moleküle und lebende Zellen ständig ersetzt werden, bleibt die (Lebens-)Information erhalten!
Abbildung: Erneuerung der Körperzellen (Spektrum der Wissenschaft 4.23, S.45)

Wissenschaftler des Weizmann Institute of Science in Israel haben präzise ermittelt, wie schnell sich die Zellen erneuern. Etwa ein Drittel unserer Körpermasse entfällt auf Flüssigkeiten außerhalb der Zellen, beispielsweise Blutplasma, sowie auf Feststoffe wie die Kalziumverbindungen der Knochen. Die restlichen zwei Drittel setzen sich aus rund 30 Billionen menschlichen Zellen zusammen. 70 Prozent davon gehören zu Fett- und Muskelgewebe und überdauern im Schnitt 12 bis 50 Jahre. Überdies enthält unser Organismus zahlreiche kurzlebige Zellen: etwa jene des Bluts, die je 3 bis 120 Tage lang überleben, und solche des Darmepithels, die meist weniger als eine Woche durchhalten. Diese beiden Gruppen sind maßgeblich verantwortlich dafür, dass der Umsatz unseres Körpers bei 330 Milliarden Zellen pro Tag liegt. Binnen 24 Stunden wird somit gut ein Prozent unserer Zellen ersetzt. Nach 80 Tagen entspricht das rechnerisch einem komplett neuen Ich.

1) Gilt für einen Mann, 20 bis 30 Jahre alt, 70kg. Er besitzt insgesamt ca. 30 Billionen Zellen + 30 bis 40 Billionen Bakterien und noch viel mehr Viren.

Bild: : Ein einzelnes Neuron (weiß) mit 5.600 Axonen (blau), die mit ihm verbunden sind. Die Synapsen, die diese Verbindungen herstellen, sind grün dargestellt. Google Research & Lichtman Lab (Harvard University). Renderings von D. Berger (Harvard University).

Auch der Aufbau des Gehirns wird im Genom beschrieben . Aber nur eine Grundstruktur. Mehr gibt der Datensatz nicht her. Die unvorstellbare Komplexität unseres Gehirns entsteht:

       100.000.000.000        Neuronen
    1.000.000.000.000       Gliazellen
 100.000.000.000.000       Synapsen
Fast ∞ viele Möglichkeiten

brain mapped_2024-05-09_natured

pfeil_sprungzumseitenanfang

Informationsspeicher: Gehirn

Während sich die Informationen im Genom nur sehr wenig ändern, ist unser Gehirn ein dynamischer Speicher der lebenslang modifiziert wird. Ständig entstehen neue Verbindungen zwischen den Neuronen oder die Kontaktstellen (Synapsen) verändern sich
Unterschiede zu einem Computer:

Bild: : Mai 2024. Wissenschaftler von Google haben ein Fragment des menschlichen Gehirns in Nanoauflösung modelliert und dabei Zellen mit bislang unbekannten Merkmalen freigelegt. Neuronen sind je nach Größe gefärbt. Öffentlich verfügbar ist ein 3D-Atlas von etwa einem Kubikmillimeter, also einem Millionstel des gesamten Gehirns, er enthält rund 57.000 Zellen und 150 Millionen Synapsen – die Verbindungen zwischen den Neuronen. Er besteht aus 1,4 Petabyte an Daten. Bildnachweis: Google Research & Lichtman Lab (Harvard University). Renderings von D. Berger (Harvard University)

Anwendungen in der Informatik

neuronales-netz

Neuromorph

icon-link Intelligenzexplosion

Neuronale Netze

Auf klassischen Computern, die Funktionsweise unseres Gehirns simulieren. Künstliche Neuronale Netze sind Algorithmen, die der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachgebildet sind.

Neuromorphe Computer

Bei Neuromorphen Computern wird die Funktionsweise unseres Gehirns auf Hardwareebene nachgebaut. Wie in unserem Gehirn, sind dann die beiden Funktionseinheiten ‚Speicher‘ und ‚Prozessor‘ nicht mehr getrennt ‒ was viel Zeit und Energie verschlingt ‒ sondern verbunden. Das Gehirn braucht millionenfach weniger Energie (ca. 25W). Ein Spracherkennungstraining erfordert z.B. 1000 kWh (Kilowattstunden) in einem normalen Computer, damit kann das Gehirn 6 Jahre arbeiten.

Künstliche Intelligenz (KI)

KI ist seit kurzem in aller Munde. Es basiert im Wesentlichen auf neuronalen Netzen ‒ und benötigt viel Energie. Wenn bald neuromorphe Chips zum Einsatz kommen, kann sich das dramatisch verändern.

Vom Gehirn aus durchziehen Nervenfasern den ganzen Körper. Sie empfangen Signale: Temperatur, Schmerz, etc. Und sie senden Signale: Muskelsteuerung, etc. Der Ischiasnerv kann z.B. über einen Meter lang sein. Aber es gibt auch noch andere Informationsströme die hier nicht weiter betrachtet werden sollen:

pfeil_sprungzumseitenanfang

Bewusstsein

Homunkulis

Bild: Die endlose Folge der Homunkuli 1): Wenn im Gehirn ein Homunkulus ist, der beobachtet und interpretiert, müsste dieser Homunkulus selbst wiederum einen eigenen kleinen Homunkulus in sich haben, der interpretiert, was er sieht, und so weiter.

Das dargestellte, unglaublich komplexe Netzwerk an Datenströmen und Speichern führt zu der Frage:
Welche Bedeutung hat dies, für die Suche nach unserem Bewusstsein
„Ich bin mir meiner bewusst“!

1) lateinisch für "kleiner Mensch"

Den Hauptanteil dazu wird man im Gehirn verorten, davon gehen fast alle aus. Seit ich vor 30 Jahren dazu einen Vortrag gehalten habe, gab es einige neue Hypothesen zu diesem Thema. Beispielsweise: Psychologen versuchen mittels klassischer Wahrscheinlichkeitsrechnung menschliches Verhalten vorauszusagen: praktisch ohne Erfolg! Ein neuer Ansatz mittels Formalismen der Quantenlogik, hatte da mehr Erfolg. Deshalb vermuten einige, dass unser Denken insgesamt vielleicht auch durch Quantenprozesse beeinflusst wird oder gar unser Bewusstsein darauf beruht.

Informat

pfeil_sprungzumseitenanfang© Prof. Dr. D. Hannemann, Gelsenkirchen 2025